Heute dürfen wir unsere liebe Doula und Family Care Nurse Mika Kienberger einen Tag lang begleiten. Erkennt ihr euch in einer der beschriebenen Situationen wieder?
Tag ein Tag aus …
… besuche ich Familien mit Neugeborenen. Das ist mein Job und ich liebe ihn. Heute will ich euch ein wenig in meinen Alltag mitnehmen; und auch in den Alltag der Familien, die ich betreue.
Es beginnt so:
Ich schaue in der Bahn in meinen Kalender und habe heute 4 Termine. Das hört sich ziemlich wenig an, doch vor 15:00 Uhr bin ich nicht fertig. Es ist jetzt 8:30 Uhr.
Ein kurzer Abstecher ins Büro, kurz die Mails checken, nen Schnack mit den Kolleginnen, dann aber auf geht’s zu Familie P.
Ich bin da, wenn das Baby viel weint und/oder wenig schläft
Sie leben irgendwo in einem gutgestellten Teil von Stuttgart, dort laufe ich hin. Sie haben Zwillinge bekommen, die jetzt nach Hause durften, endlich! Aber hier kommt schon die erste Verunsicherung: In der Klinik war alles so schön geordnet, alles hatte seinen Ablauf und seinen Platz. Jede Mahlzeit, jeder Windelwechsel, einfach alles war durchstrukturiert. Die Kinder sind ja meist so klein, dass sie auch viel schlafen um zu wachsen. Frau P. schrieb mir, dass eins der Babys fast die ganze Zeit weint. Sie weiß auch nicht mehr, was zu tun ist! In der Klinik war das alles anders.
Ja, ich verstehe sie gut, spreche ihr Mut zu und frage, was gut läuft. Erst dann schaue ich auf das, was anstrengend ist: der Schlaf. Ok, dann erzählen Sie mal, sage ich. Und schon sprudelt es heraus. Aha, gefühlte Wahrheit = Kind schläft nie. Und weint. Viel. Sehr viel.
Gut, dann machen wir mal ein Schlafprotokoll, sag ich. Einfach mal bis zum nächsten Termin ausfüllen, so gut es geht.
Zack, ein klein wenig Entlastung. Oh und schauen Sie, wie das Baby lächelt! Sie wollen sich ein Haus im Grünen kaufen, die Luft hier kann nicht gut sein für die Babys, oder? Aber auch das ist ein schierer Kraftakt, denn ein Häuschen im Grünen ist schwer zu finden. Schon diverse Absagen. Das wird schon, sag ich.
Nach 1,5 Stunden verlasse ich die Familie.
Jetzt aber flott in die nächste Bahn springen und quer durch Stuttgart. Fast.
Ich bin da, wenn die Mutter mit ihren neuen Herausforderungen überfordert ist
Fast pünktlich komme ich bei Familie H. an in der Flüchtlingsunterkunft. Die Familie ist seit 6 Monaten in Deutschland; der Vater spricht ein wenig Deutsch, die Mutter ist Analphabetin. Ok, ein Dolmetscher muss her. Aber für Kurdisch, nicht einfach arabisch. Heute hilft die Nachbarin aus. Sie hat selbst fünf Kinder groß gezogen, erzählt sie stolz. Frau H. hat das dritte Kind bekommen, aber noch nie selbstständig ein Kind voll und ganz versorgt. Zuhause helfen alle mit, ja, vor allem am Anfang. Das ist etwas, was ich schon weiß und nicke.
Frau H. hat auch noch nie gestillt, denn Pulvernahrung ist ein Statussymbol (Ja, ihr lest richtig, ein Statussymbol!) und ihre Milch war schlecht bei den anderen Kindern. Aha, sage ich und wie hat sich das geäußert? Die fleißige Nachbarin übersetzt. Ich höre zu und frage mal nach. Ob sie sich vorstellen kann, es mal ein paar Tage zu versuchen, nur bis zum nächsten Besuch. Denn ich glaube, dass ihre Milch diesmal gut ist. Ja, sie will es versuchen. Die Nachbarin redet ihr zu, dass es gut für ihr Kind ist, dass sie es schafft und die Brustwarzen bald nicht mehr weg tun.
Zum Schluss frage ich, wie es hier denn geht, so ganz ohne Hilfe und Familie? Sie lächelt müde, es geht schon.
Dann bedanke ich mich bei ihr und wir machen einen neuen Termin aus. Ist nicht ganz einfach die Sprachkurszeiten mit meinen Arbeitszeiten hinzubiegen. Aber wir schaffen es. Und wieder sind 1,5 Stunden vergangen.
Eigentlich ist jetzt Mittag und ich husche schnell bei einem Bäcker vorbei. Schnell was auf die Hand. Für unterwegs. So sehr ich diese To-Go Kultur hasse, ich komme nicht drum herum.
Ich bin da, wenn junge Eltern jemanden zum reden brauchen
Frau K. öffnet mir die Türe, sie strahlt und schießt gleich los, dass sie meinem Rat gefolgt ist und dies und jenes gemacht hat und ihr Kind jetzt gut schläft! Keine Sorge, wir färbern nicht ;-). Aber sie beobachtet jetzt ihr Kind gut und erwischt schon ganz oft den Punkt, wo er müde wird und dann legt sie ihn schlafen. Na ja, wir arbeiten seit Wochen zusammen daran. Viel Bestärkung, viel Beobachtung und Mama, Papa & Kind schlafen wieder ruhiger. Ich freue mich und sie erst! Aber ist es normal, dass er jetzt wieder so oft trinkt? Ach, seit wann ist das so, will ich wissen und bitte sie um ein klein wenig Geduld, wahrscheinlich entwickelt er sich oder wächst. Sie nickt und sie erzählt mir, dass es ihr manchmal schwer fällt nur noch Mutter zu sein. Die Arbeit fehlt, der Austausch, ach ja. Und ein wenig knapp wird es finanziell auch. Wir reden darüber und auch hier ein wenig Entlastung und ich kann wieder los.
Ich bin da, wenn in der neuen Heimat Deutschland alles anders ist
Los zum letzten Termin für heute. Zu Frau A., die auf der Sonnenseite von Stuttgart wohnt. In einer Villa in Halbhöhenlage, 10 Gehminuten vom Flüchtlingswohnheim entfernt, wo ich heute Morgen schon war. Sie ist seit zwei Jahren in Deutschland; wir reden Englisch. Es ist schwer, denn sie ist von Zuhause gewohnt, dass Personal da ist. In ihrer Heimat hatte sie ein Kindermädchen für ihren Sohn, eine Zugehfrau und eine Köchin. Ja, ich kann mir vorstellen, dass ihr das fehlt. Ich meine das nicht wertend. Aber sie vermisst auch einfach ihre Heimat. Das große Kind ist sehr eifersüchtig, denn das Baby will immer zu trinken. An der Brust. Und auch da schlafen.
Frau A. hat auch vergessen, wie das so war mit dem Baby. Ich locke ihr einige Erinnerungen hervor und es wird ihr schon ein wenig leichter ums Herz. Das mit dem Stillen, Schreien, Schlafen war beim großen Kind auch so. Noch schwieriger war es, sagt sie und erzählt, welche Schwierigkeiten sie mit dem Stillen hatte und dass sie acht Monate gepumpt hat. Ich frage, ob sie sich große Sorgen macht, dass es diesmal auch so wird? Ja, schon. Aber sie würde es auch wieder tun. Ich lächle, ein Bad as Mom Lächeln. Wir verstehen uns. Noch ein wenig Fragen beantwortet und um 14:30 Uhr verlasse ich eine etwas ruhigere Mutter mit ein paar Tipps für die kommenden Tage; meiner Telefonnummer für den Notfall und einem neuen Termin.
Ein kurzer Abstecher ins Büro, Emails checken und dann nach Hause.
Eines steht auch heute für mich fest: Egal woher du kommst, du hast die gleichen Sorgen, den gleichen Kummer und dieselben Fragen, wie alle Mütter 🙂