Heute, am 11. November, fand der alljährliche Martinsumzug statt. Mit selbst gebastelten Laternen zogen haufenweise Kinder durch die Straßen und sangen fröhliche Lieder zu Ehren von Sankt Martin. Religion oder Tradition?
Warum feiern wir den Martinstag überhaupt?
Die Geschichte erzählt, dass der Soldat Martin vor vielen vielen Jahren mit seinem Pferd die Tore zur Stadt Amiens (heutiges Frankreich) durchritt. Es war dunkel, bitterkalt und im Schnee saß ein leicht bekleideter Bettler, dem wenn überhaupt Beachtung, nur belustigende Bemerkungen entgegengebracht wurden. Martin verspürte Mitleid mit dem Bettler, teilte seinen teuren Soldatenmantel mit dem Schwert in zwei Teile und schenkte dem armen Mann die eine Hälfte davon.
Soweit einfach eine schöne Geschichte, die schon die Kleinsten unter uns lehrt, wie wichtig es ist, seine Mitmenschen wertzuschätzen und ihnen wenn nötig zur Seite zu stehen.
Doch die Geschichte nimmt mit dieser uneigennützigen Gabe noch kein Ende. Es folgt die Szene, die Martin mit der christlichen Religion in Verbindung bringt. Nachts, als Martin schläft, träumt er von Christus, welcher ihm sagt, er selbst habe, als Bettler verkleidet, vor den Toren Amiens gesessen und das Mantelstück empfangen.
Und zu guter Letzt noch der Teil der Geschichte, der weniger mit Mitleid als mit Rachelust zu tun hat und daher wohl kaum dazu geeignet ist, um ein moralisches Verhalten zu vermitteln.
Von Amiens aus soll Martin in seine italienische Heimat zurückgekehrt sein, um dort als Einsiedler ein zurückgezogenes Leben zu führen. Als es ihn dann doch wieder nach Frankreich verschlägt, möchte das dortige Volk ihn am liebsten als Erzbischof sehen, was dem ehemaligen Soldaten widerstrebt. Um der euphorischen Meute, die ihn in das kirchliche Amt drängen möchte, zu entgehen, versteckt er sich in einem Gänsestall, doch die gackernden Gänse verraten ihn. Aus Rache soll es Martin selbst gewesen sein, der die Tradition einführte, an seinem Namenstag Gänse zu schlachten und zu braten.
Beim diesjährigen Martinsumzug, der von Miguels Kindergarten organisiert wurde, hörten wir lediglich den ersten Teil der Geschichte, also den Teil, der für kleine Kinder am einfachsten verständlich ist und sich wunderbar als Grundlage für den ach so beliebten Laternenumzug anbietet.
Konfessionslos und doch traditionell
Gustavo und ich wuchsen beide in einer katholischen Familie. Wir wurden getauft und absolvierten die erste Kommunion. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Kind vor dem Schlafengehen betete, an religiösen Festtagen die Kirche besuchte und im Grundschulalter mit den Sternsängern um die Häuser zog.
Ich genoss also eine traditionell katholische Erziehung, die mich lehrte zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden und die mir den Weg wies in ein Wertesystem, das in unseren Breitengraden zu einem harmonischen Miteinander beiträgt.
Vor vielen Jahren haben mein Mann und ich uns unabhängig voneinander von der Kirche losgesagt. Für Miguel wünschten wir uns einen konfessionslosen, am liebsten multikulturellen Kindergarten. Doch mit solchen „Extrawünschen“ tut man sich in ländlichen Regionen eher schwer. Kurzum, seit September besucht Miguel einen katholischen Kindergarten. Miguel liebt diesen Kindergarten und auch wir können uns keine bessere Betreuungseinrichtung für unseren Sohn vorstellen.
Und doch gibt es dann immer mal wieder Situationen, in denen wir uns etwas fehl am Platz fühlen. So erging es uns beispielsweise beim Gottesdienst du Ehren von Sankt Martin. Es wird das gemeinsame Vaterunser gesprochen und die Eltern um uns herum bekreuzigen sich, während unsere Lippen verschlossen, unsere Hände bewegungslos bleiben.
Miguel saß mit großen Augen auf der harten Kirchenbank und ließ das durchaus feierliche Ambiente auf sich wirken. Was wird wohl in seinem kleinen Kopf vor sich gegangen sein? Wann wird er uns fragen, warum wir nicht in die Gebete und Gesänge einstimmten? Und wie erklärt man einem 3-jährigen Kind, dass Mama und Papa das Leben aus einer anderen Perspektive sehen?
Miguel wird mit unseren bayerischen Traditionen aufwachsen, denn es sind schöne Traditionen und Bräuche, die wertvolle Botschaften vermitteln. Auch werden wir seine Fragen versuchen bestmöglich zu beantworten. Nur den Glauben an den Gott aus der Bibel werden wir ihm nicht vermitteln können.
Was meint ihr, genügt es, einem kleinen Kind die eigenen Wert- und Moralvorstellungen vorzuleben, ohne auf eine konkrete Religion Bezug zu nehmen? Brauchen Kinder eine Religion?
Liebe Martina,
Danke fürs Teilen Deiner Gedanken zum Martinsfest. Bei uns schaut es ähnlich aus: unser Kind wird tagsüber in einer evangelischen Kita betreut. Da wir auf dem Lande wohnend keine große Wahl haben, sind wir froh, überhaupt einen Platz bekommen zu haben, der nicht über 20 km entfernt liegt. In der Einrichtung herrscht ein angenehmes Klima, das Personal ist lieb und freundlich.
Vergangene Woche haben wir die erste Laterne anlässlich des Martinfestes gebastelt… Vorher ist mir das Zelebrieren dieses Tages nie in den Sinn gekommen. Sowohl mein Freund als auch ich sind an der östlichen Ostseeküste fernab jeder Religion aufgewachsen. Wir brauchen auch keine für unser Kind. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Werte und Moralvorstellungen auch ohne Religion vermittelt werden können. Dazu braucht es keine Bibel oder andere religiöse Schriften. Man lebt doch dem Kind vor, wofür man steht und versucht dabei, ihm das bestmögliche für einen guten Start ins Leben zu geben.
Da wir hier vorerst keine religionsfreie Kita-Alternative haben, werden wir unserem Kind peu a peu erklären, dass in der Kita eine mögliche Herangehensweise ans Leben (das christliche Unterscheiden zwischen Gut und Böse; Lob und Strafen etc.) vermittelt wird, die aber nicht die unserer Familie ist. Noch ist unser Kind jedoch keine zwei Jahre alt… (; Mal schauen, wie wir das dann meistern werden. Auf jeden Fall werden wir (unser Kleines und wir Großen) an der Auseinandersetzung mit dem Thema wachsen. Ich mach mir in dieser Hinsicht keine großen Sorgen.
Viele Grüße in den Süden.
Liebe Steffi, ich danke dir ganz herzlich für deinen Kommentar. Und sicherlich hast du recht, Moralvorstellungen lassen sich auch ohne Religion vermitteln, solange die Eltern diese auch vorleben. Schwieriger stelle ich es mir vor, Fragen der Kinder zu beantworten. Schließlich sehen sie bei anderen Kindern, wie sie die Religion leben. Und es ist auch nicht in meinem Sinne, Miguel die christliche Religion auszureden. Religion an sich ist ja eine gute Sache und oftmals eine wichtige Stütze im Leben. Letztlich wird er selbst früher oder später entscheiden, welche Relevanz Religion für ihn hat. Zwischenzeitlich gilt es eben zu erklären, warum Mama und Papa nicht an den Gott in der Bibel glauben ;). Jaja, die Herausforderung von Eltern eben! Aber wie immer, mache ich mir wahrscheinlich einfach zu viele Gedanken. Ganz liebe Grüße an dich und deinen Familie, Martina
Liebe Martina,
oh, ich merke: Meine Antwort kam so selbstverständlich daher. Weil ich es nicht anders kenne, sprich in einem recht religionslosen Umfeld aufgewachsen bin und verkehre. (: Auf die Auseinandersetzung mit den Überlegungen und Fragen von meinem kleinen Schatz bin ich auch schon gespannt, aber tatsächlich eher im fröhlichen Sinne. Zum Thema Evolution gibt es für Kinder von Michael Schmidt-Salomon das Buch „Big Family“. Dieses und einige andere seiner Bücher kann ich empfehlen.
Liebe Martina, das wird ganz bestimmt ein guter Austausch mit Eurem Miguel.
Sonnige Grüße,
Steffi