Schreibaby, was ist das? Gibt es so etwas wirklich? Und wenn ja, vielleicht ist mein Baby ja auch ein Schreibaby. Oftmals wird sehr leichtfertig mit dem Begriff Schreibaby umgegangen. Beim kleinsten Anzeichen wird der Kinderarzt aufgesucht, die Hebamme angerufen, Foren durchforstet und Bücher zu Rate gezogen. Häufig ist diese Panik übertrieben, es vergehen die ersten 3 Monate, Baby hat weniger Bauchweh und plötzlich wird es ruhiger im Haus.

Doch ist dem leider nicht immer so. Denn sogenannte Schreibabys gibt es tatsächlich. Die Ursachen sind unterschiedlich, Methoden der Behandlung ebenfalls. In Folgenden wollen wir uns eine Ursache, nämlich das sogenannte KiSS-Syndrom etwas genauer ansehen.

Babys mit KiSS-Syndrom

Letztens hatte ich auf dem Spielplatz eine interessante Begegnung, die Anlass gab, mich etwas näher mit dem Thema Schreibaby zu beschäftigen.

Ich konnte ein kleines Mädchen beobachten, das sich ganz selbstständig auf dem Spielplatz bewegte. Es lief sehr sicher, kletterte, fiel hin, weinte, stand wieder auf und dies alles ohne die ständige Begleitung von Mama und Papa. Warum mich dies wunderte? Weil dieses Mädchen nicht recht viel älter war als unser Miguelito. Und mit gerade einmal einem Jahr sieht man selten so selbstständige und unerschütterliche Babys.

Wenig später kam ich mit der Mutter des Mädchens, das übrigens den schönen Namen Corinna trägt, ins Gespräch. Ich fragte sie erstaunt, wie alt ihre Tochter sei und wie es komme, dass sie sich schon ohne jegliche Hilfe so frei auf dem Spielplatz bewegen würde. Ohne Umschweife kam die Antwort: „Meine Tochter hat das KiSS-Syndrom.“

Doch was genau bedeutet KiSS-Syndrom?

Vom KiSS-Syndrom hörte ich damals zum ersten Mal. Ich wurde neugierig und ließ mir ausführlich erklären, was es damit auf sich hat.

Beim KiSS-Syndrom handelt es sich um eine Fehlstellung der Kopfgelenke bei Neugeborenen. Die Abkürzung KiSS selbst steht für Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung. Diese „Steuerungsstörung“ ist keine Krankheit, hat aber einen entscheidenden Einfluss auf die Motorik eines Babys. So kommt es typischerweise zu asymmetrischen Haltungen und Bewegungsabläufen. Auch kann es zu einer asymmetrischen geistigen und körperlichen Entwicklung kommen, wie es auch der Fall bei Corinna ist.

Ursachen des KiSS-Syndrom

In Corinnas Fall scheint es sich um einen Gendefekt zu handeln, der ab und an in einer Schwangerschaft auftreten kann, ohne dass es hierfür konkrete Erklärungen gäbe.

Viel häufiger ist das KiSS-Syndrom Folge von Beckenfehllagen während der Schwangerschaft sowie erschwerte Geburten, die Zange oder Saugglocke notwendig werden lassen. Auch sehr schnelle Geburten, Notfall-Kaiserschnitte und Zwillingsgeburten, bei denen das Baby unter hohem Druck durch den Geburtskanal gepresst wird oder es zu Drehbewegungen kommt, die das Kopfgelenk stark belasten, können zu Steuerungsstörungen führen.

Das KiSS-Syndrom im Baby-Alltag

Was man bei Corinna feststellte ist, dass die geistige stets der motorischen Entwicklung um einige Zeit vorausgeht. Dabei handelt sich genauer gesagt um gute 4 Monate. Was das bedeutet?

Corinna fühlt sich bereit, ihre ersten Schritte zu wagen, ist aber eigentlich körperlich noch nicht so weit. Es baut sich also ein innerer Konflikt auf, der exzessive Schreiphasen zur Folge hat. Die kleine Corinna lernte bereits mit 8 Monaten das Laufen, was wirklich früh für ein Baby ist. Das ist natürlich erfreulich zu sehen, allerdings auch eine große Belastung für die Eltern, da dies das Resultat einer lang anhaltenden Schreiphase war. Erst mit dem ersten Schritt wurde Corinna wieder entspannter und die Eltern konnten für eine Zeit lang durchatmen.

Wie wir wissen, durchlebt jedes Baby mehrere Wachstums- und Entwicklungsphasen. Diese können auch ohne KiSS-Syndrom eine große Belastung für die Familie werden. In dem Buch „Oje, ich wachse!“ von Hetty van de Rijt und Frans X. Plooij wird das sehr schön beschrieben.

Jedoch sind diese „Quängel-, Essensverweigerungs- und Weinphasen“ keineswegs zu vergleichen mit Babys, die ohne Unterlass 3-4 Stunden schreien und dies an mehreren Tagen in der Woche. Corinnas Mutter kann ein Lied davon singen und hatte lange mit der Situation zu kämpfen, zumal die Diagnose KiSS-Syndrom erst spät gestellt wurde und dieser schlimme Selbstzweifel vorangingen.

Symptome und Diagnose des KiSS-Syndrom

Im Fall von Corinna wussten die Eltern lange nicht, warum ihr Baby so viel schrie. Sie versuchten alles, um ihren Liebling zur Ruhe zu bringen, aber ohne Erfolg.

Nach langem hin und her entschlossen sie sich zum Besuch der sogenannten Schreiambulanz. Auch davon hatte ich zuvor nie etwas gehört. Doch auch unser örtliches Kreiskrankenheit verfügt über eine Schreiambulanz, an die sich Eltern wenden, die vermuten, dass ihr Baby tatsächlich den leidigen Beinamen Schreibaby verdiente.

In der Schreiambulanz wurde Corinna ausgiebig untersucht, es wurden intensive Gespräche mit den Eltern geführt und man diagnostizierte das KiSS-Syndrom.

Corinna´s Symptome

Grund des Besuchs der Schreiambulanz, nämlich der Verdacht auf die Diagnose „Schreibaby“, ließ die Ärzte natürlich zuallererst aufhorchen.

Auch das plötzliche Erschlaffen von Corinnas Muskulator, das dazu führt, dass die Kleine in Mamas oder Papas Armen ganz unerwartet nach hinten wegkippt, gab einen Hinweis auf das KiSS-Syndrom.

Dazu kam eine Fehlstellung der Hüfte, die zeitweise mit Hilfe meiner Tag- und Nachtstütze korrigiert werden musste.

Und als wohl eindeutigstes Kennzeichen entdeckte man schließlich den charakteristischen KiSS-Fleck an Corinnas Hinterkopf. Das ist eine Stelle an Babys Köpfchen, wo keine Haare wachsen und man stattdessen eine deutliche Verfärbung der Haut erkennen kann.

Behandlung und Heilung

Babys mit KiSS-Syndrom werden in erster Linie durch manuelle Therapien, wie bsp. mithilfe von Osteopathie behandelt. Dadurch versucht man die Symmetrie der Halswirbelsäule wiederherzustellen. Bei Corinna musste, wie bereits erwähnt, auch die Hüfte behandelt werden.

Nach erfolgreicher Manualtherapie kann es sein, dass Corinna bei Wachstumsschüben immer wieder in die alten Verhaltensmuster zurückfällt. Insbesondere die Schreiphasen können wieder auftreten. Auch sollten Kinder, bei denen das KiSS-Syndrom diagnostiziert wurde, spätestens mit drei Jahren und zur Einschulung nochmals auf Symptome dieser Steuerungsstörung untersucht werden, um mögliche Schwächen in der Motorik und Wahrnehmung frühzeitig erkennen und behandeln zu können.

Ob das KiSS-Syndrom im Kleinkindalter erneut auftritt und in welcher Form lässt sich so nicht vorhersagen. Wichtig ist daher auf jeden Fall eine langfristige psychologische Betreuung, die einem Wege aufzeigt, wie man mit einem Schreibaby und einem Kleinkind umgeht, das unter dem KiSS-Syndrom zu leiden hat.

Im Fall von Corinna habe ich eine sehr entspannte Mutter kennengelernt, die ihren Weg gefunden hat, die Situation zu meistern und dies obwohl sie sich durchaus bewusst ist, dass es auch künftig zu Schreiphasen kommen kann; nämlich immer dann, wenn Corinna erneut einen Wachstumsschub durchlebt, der ihre kleine Welt komplett auf den Kopf stellt.

 

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